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Evolutionäres Tuning eines zelluläres ‘Kraftwerks‘

Freiburger und Bonner Forschenden gelingt die erste umfassende Darstellung der Proteinmaschinen in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle

Freiburg, 26.01.2023

Evolutionäres Tuning eines zelluläres ‘Kraftwerks‘

Profile der Untereinheiten einzelner Komplexe (oben) und Gesamtdarstellung aller rund 5200 Proteinsignale in MitCOM. Quelle: AG Fackler/Pfanner/Becker

Mitochondrien sind membranumhüllte Strukturen, die in allen Zellen höherer Organismen vorkommen und dort den größten Teil der notwendigen Energie produzieren (“Kraftwerke der Zelle“). Darüber hinaus haben diese Organellen wichtige Funktionen beim Auf- und Abbau bestimmter Biomoleküle sowie bei einer Vielzahl intrazellulärer Signalprozesse. In enger Kollaboration haben jetzt Forschende der Institute für Biochemie um Prof. Dr. Nikolaus Pfanner und Physiologie um Prof. Dr. Bernd Fakler an der Universität Freiburg und des Instituts für Biochemie an der Universität Bonn um Prof. Dr. Thomas Becker ein neu entwickeltes Analyse-Verfahren angewandt, um die strukturelle Organisation der Proteine in Mitochondrien umfassend zu kartieren. Die Ergebnisse geben erstmals einen umfassenden Einblick in Aufbau und Organisation der mitochondrialen Proteine in Proteinmaschinen unterschiedlicher Komplexität und liefern so die Grundlage für zukünftige Untersuchungen neuer Protein-Funktionen und -strukturen. Diese Studie ist aktuell in Nature erschienen.

Umfassendes Bild der Zusammensetzung von Proteinverbünden unerlässlich

Die Mitochondrien der Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) enthalten rund 1.000 verschiedene Proteine. Für einige Proteinen wurde bereits gezeigt, dass sie ihre Funktion nur in festem Verbund mit anderen Proteinen, sogenannte Proteinkomplexen, erfüllen. Für die Mehrzahl der Proteine war hingegen wenig darüber bekannt, wie sie in Komplexen oder dynamischere Verbünden organisiert sind. Ein umfassendes Bild der Zusammensetzung dieser Proteinverbünde oder Proteinmaschinerien ist unerlässlich, um die molekularen Mechanismen und Wechselbeziehungen verstehen, die es den Mitochondrien ermöglichen, ihre vielfältigen biologischen Funktionen mit der bekannt hohen Präzision und Zuverlässigkeit zu erfüllen.

Für ihre Analysen setzten die Forschenden ein von ihnen entwickeltes Verfahren zur hochaufgelösten Komplexom-Analyse ein. Dabei werden Proteinkomplexe zunächst in intakter Form nach ihrer Größe in einem Gel aufgetrennt und dieses dann, nach Tieffrieren, in Scheibchen von 0.3 Millimeter Dicke geschnitten. Mittels Massenspektrometrie können dann alle in den Scheibchen enthaltenen Proteine identifiziert und mengen-analysiert werden. Die so erzeugten Protein-Profile, von den Forschenden zusammengenommen als MitCOM (für mitochondriales Complexom) bezeichnet, ergaben den bis dato umfassendsten und präzisesten Datensatz der quantitativen Größenverteilung von mehr als 90 Prozent der mitochondrialen Proteine. „Die Auswertung von MitCOM zeigte, dass mehr als 99% aller mitochondrialen Proteine in Komplexen, durchschnittlich sieben pro Protein, auftreten (zusammengenommen mehr als 5000 Signale von Proteinkomplexen, Abb. 1) organisiert sind“, sagte Dr. Uwe Schulte, der Erstautor der Arbeit. „Das ist ein deutlich höheres Maß an Komplexität als bislang angenommen wurde“. Dabei scheint die Komplexität nicht von den biochemischen Eigenschaften der einzelnen Proteine, sondern hauptsächlich von deren Funktion und Lokalisation in mitochondrialen Sub-Strukturen abzuhängen.

In einem zweiten Schritt nutzten die Forschenden die enorm große Dynamikbreite von MitCOM aus, um bislang unbekannte Verbindungen zwischen mehreren Signalwegen aufzuklären und neue Mechanismen zur Kontrolle des Proteinimports in Mitochondrien zu entschlüsseln. „MitCOM hat uns Wechselwirkungen von Proteinen mit dem TOM-Komplex gezeigt, die zusammen für die Qualitätskontrolle des Proteinimports verantwortlich sind“, erläutert Pfanner.

Die MitCOM-Daten stellen damit eine einzigartige Ressource dar, die sicherlich Anstoß zu weiteren spannenden Entdeckungen in der Mitochondrien-Forschung liefern wird. Dabei sind die Mitochondrien erst der Anfang. „Das Verfahren der Komplexom-Analyse lässt sich unmittelbar auf andere Organellen und Zellkompartimente übertragen und wird uns vermutlich noch viele weitere Einblicke in die evolutionäre Kreativität geben“, erklärt Fakler, der mit seinen Mitarbeiter*innen vor allem an der schnellen Signalübertragung an Zellmembrane arbeitet.

 

Faktenübersicht:

  • Schulte, U., den Brave, F., Haupt, A., Gupta, A., Song, J., Müller, C.S., Engelke, J., Mishra, S., Mårtensson, C., Ellenrieder, L., Priesnitz, C., Straub, S.P., Doan, K.N., Kulawiak, B., Bildl, W., Rampelt, H., Wiedemann, N., Pfanner, N., Fakler, B. and Becker, T. (2023): Mitochondrial complexome reveals quality control pathways of protein import. In: Nature. https://doi.org/10.1038/s41586-022-05641-w
  • Bernd Fakler, Nikolaus Pfanner und Uwe Schulte sind Mitglieder des Exzellenzclusters CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies

 

Kontakt:

Annette Kollefrath-Persch
Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-8909
E-Mail:

 

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Profile der Untereinheiten einzelner Komplexe (oben) und Gesamtdarstellung aller rund 5200 Proteinsignale in MitCOM. Quelle: AG Fackler/Pfanner/Becker